EISENBAHNJUBILÄUM IN RICHTERSWIL
Quelle: Grenzpost, September 1975 aus Sammlung Ortmuseum Richterswil
Obwohl im Regionalteil dieses Blattes eine von berufener Seite geschriebene Abhandlung die Geschichte des Eisenbahnbaus vor hundert Jahren gründlich behandelt, seien auch im Richterswiler Teil einige Reminiszenzen aus Dokumenten und alten «Grenzposten» hervorgekramt.
Was einem beim Durchgehen hundertjähriger Schriftstücke zuerst auffällst, sind Namen, die vor wenigen Jahrzehnten noch allen bekannt waren oder es heute noch sind: So wird am 19. Mai 1875 um Bewilligung für eine Landanlage bei der Nudelfabrik des Herrn Rebsamen nachgesucht. Ein Vertrag der Nordostbahn mit Herrn Weinhändler Hitz in der Gerbe regelt die Übergabe des Landes und den weiteren Unterhalt der Böschungen und Aufschüttungen in allen Einzelheiten. Einer von Dutzenden von Expropriationsentscheiden des Bundesrates, natürlich fast alle abgewiesen, richtete sich an Herrn Zinggeler-Syfrig, der wenige Jahre zuvor sein Land unter der Bedingung einer erwünschten Fabrikbaus zur Schaffung von Arbeitsplätzen gratis erhalten hatte. Ein den Bahnbau unterstützendes Gesuch des Gemeinderates von 1861 trägt die markante und sehr leserliche Unterschrift des damaligen Gemeindepräsidenten Dr. Landis, in dessen «Doktorhaus» heute unsere Gemeindeverwaltung untergebracht ist. Auf dem gleichen Schreiben hat sogar der Dichter Gottfried Keller, im selben Jahre Staatsschreiber geworden, handschriftlich beigefügt: «Geht an die Eisenbahnkommission zu den sachbezüglichen Akten. Vor dem Regierungsrathe: Die Staatskanzlei: Keller.»
Das auch damals schon nicht aller Richterswiler gleicher Meinung waren, beweist ein «Grenzpost»-Inserat vom 9. April 1873:
«Wir ersuchen Herrn Kirchenpfleger Leemann, mit zu derben Kraftausdrücken gegen Diejenigen vorsichtiger zu sein, die in der Bahnhofsfrage nicht seiner Meinung sind.
Einige Buben»
Am 9. Januar 1875 wird die Erdarbeit vom «Lokomotivgebäude Richtersweil» ausgeschrieben, der beste Beweis, dass Richterswil von Anfang an als Endstation der Zürcher Vorortsverkehrs vorgesehen war, wo die geheizten Lokomotiven vom letzten zum ersten Zug vor Auskühlung bewahrt werden mussten. Der gleiche Grund verschaffte unserem Dorf 1947 auch die Ehre, den rekonstruierten «Spanischbrötli-Bahn»-Zug während der Zeit nachts zu beherbergen, als er zur Freude des zahlreichen Publikums täglich vierzehn Hin- und Rückfahrten zwischen Wädenswil und Pfäffikon ausführte.
Dass der Bahnbau auch schon allerlei andere Verkehrsschwierigkeiten brachte, die wir als «Errungenschaft» unseres Autozeitalters betrachten, gesteht die Polizei-Commission Richtersweil in einer längeren Rechtfertigung am 7. Juli 1875:
«Bekanntmachung: Bezüglich der in einem Artikel in letzter Nr. der Grenzpost ausgesprochenen Rüge betreffend die schlimme Passage zwischen Engel und Anker und Gesuch an den Gemeinderath zur Abhilfe dortiger Übelstände, lässt es sich keineswegs in Abrede stellen, dass in jüngster Zeit diese Strasse für Fuhrwerke sowohl, wie für Fussgänger durch Anhäufung zu vieler Fuhrwerke gesperrt und schwer passierbar war; dagegen lässt es sich auch nicht verkennen, dass während der Bauzeit der Bahnlinie und Reparatur anstossender Gebäulichkeiten und unter den jetzt gegebenen Verhältnissen, wo der Verkehr von Personen und Waaren zu den Landungsplätzen nur auf den dortigen einen Übergang angewiesen ist, es bisweilen, besonders bei Ankunft und Abfahrt der Dampfboote, fast unmöglich ist, diesem Gedränge auszuweichen.
Es liegt weder böser Willen von Seiten des Polizeipräsidenten, noch anderweitige Gründe vor, diesem Übelstande nicht abhelfen zu wollen; es kann aber auch nicht zugemuthet werden, immer zur Stelle zu sein: Es ist aber leider unsere Ortspolizei, welche die Ordnung auf diesem Platze handhaben sollte, durch eine erlittene Körperverletzung für einige Zeit ausser Stande, seinen Dienst machen zu können; zudem weiss man aus gemachter Erfahrung wie schwer und verdriesslich es ist, mit den Fehlbaren auf diesem Platze zu verkehren.
Es ist der Unterzeichnete bis zur nahen Vollendung des Baues der Bahnlinie alles Mögliche thun, gerechten und billigen Wünschen und Anforderungen in dieser Richtung entsprechen zu können.
Richtersweil, den 5. Juli 1875
Die Polizei-Commission»
«Nachdem in Folge der Erstellung der Eisenbahn das Ablagern von Kehricht am Seegestade etc. als Füllmaterial zur Unmöglichkeit geworden ist», beabsichtigt der Gemeinderat sogar, eine Art Müllabfuhr auf privater Basis, offenbar nach dem modernen Kompostiersystem, einzurichten, und lädt «Landwirthe, wie auch andere Reflectanten, zur Übernahme der Abfuhr, eines überaus lohnenden Geschäftes», zur Anmeldung ein. Also dank der Eisenbahn nicht nur hundert Jahre Linksufrige, sondern auch hundert Jahre «Güselabfuhr» in Richterswil!
Von der am 15. September 1875 stattgefundenen Kollaudation berichtet die «Grenzpost»: «Ein Eisenbahntrain mit neuer Lokomotive brachte die Herren von Station zu Station. Der Bahnhof Richtersweil war artig geschmückt, zu welche Zwecke Hr. Hürlimann-Hohl seine prächtige Orangerie bereitwillig öffnete.»
Aus dem Grenzpostbericht über den Einweihungszug vom 18. September 1875 dürften folgende Stellen von Interesse sein:
«Ein Frühzug (ab Richterswil 7.30) brachte die Gäste durch die festlich geschmückten Ortschaften nach Zürich. Ein gemeinsames Frühstück im Bahnhof Enge vereinigte die Festteilnehmer, bestehend aus Abgeordneten der Regierungen der betheiligten Kantone, der subventionirenden Gemeinden und dem Baupersonal.
Punkt 9 Uhr verliess der Festzug Zürich, um mit reich geschmückter Lokomotive sich den Anwohnern des linken Seeufers zu präsentiren. Mittlerweile hatten sich aber auch die Gemeinden selbst in’s Festgewand geworfen, um die Ankommenden gehörig zu empfangen. Thalweil, Horgen, Wädensweil, Richtersweil, Lachen, etc. wurde der Zug von der sämmtlichen Schuljugend festlich empfangen, und weiss gekleidete Jungfrauen kredenzten den Ehrenwein.
Vier Minuten Aufenthalt und fort schnaubte es wieder, das Dampfross, um programmgemäss um 1 Uhr 10 Minuten in Glarus einzutreffen.
Am Bankett im «Glarnerhof» gastierten die Herren Meyer-Imhof, Rathsherr Zweifel von Glarus, Regierungsrath Curti von St. Gallen, Regierungsrath Stössel von Zürich und Dr. Diethelm von Lachen. – Einer Einladung des Hrn. Präsident Gallati zu einem Spaziergang auf’s Bergli wurde Folge geleistet, bis dann das ungeduldige Dampfross durch Pfeifen und Schnauben zur Heimreise mahnte. …
Unterdessen waren aber die ‚Unteren‘ auch nicht müssig gewesen. Richtersweil erglänzte am Abend der ganzen Bahnlinie entlang in einem Lichtmeer von über 1500 Fackeln, welche aus mit Petroleum getränkten «Turben» bestanden. Sämmtliche Schuljugend am Bahnhof mit chinesischen Papierlaternen, Hintergrund der 200 Fuss hohe Springbrunnen des Hrn. Zinggeler, bengalisch beleuchtet; diess Alles gewährte einen Anblick, gegen welchen eine sogenannte ‚italiensiche Nacht‘ nur ein ‚Speuz‘.
Bravorufe und ‚Hoch Reichersweil‘ ertönten aus dem heranbrausenden Zuge, welcher bereits durch alle Wagen hindurch mit mehr oder weniger Dampf gefüllt war … Nach der ‚N.Z.ztg.‘ gebührt Thalweil das erste Lob, dann kommen Richtersweil, Lachen, Horgen, Bendlikon.
Auch Freienbach hatte seine Dekoration, wenn auch in etwas demonstrativer Weise. Ein aus Steinen gebildetes Grabmonument mit der Aufschrift ‚Station Freienbach‘ und links und rechts dunkle, grüne Fahnen sollten wohl deutlich zeigen, dass auch hier eine Station hingehörte. –
Das übrigens der Nordostbahn hier keine Schuld beigemessen werden kann, ersehen wir aus folgendem Passus des Vertrags-Entwurfes vom 13. Juni 1872, welcher deutlich sagt:
«Das Zentralkomite ist berechtigt, auch für Wollishofen, Oberrieden, Freienbach und Bilten Stationen, ferner für Rüschlikon und Au Personenhaltestellen zu verlangen, insofern diese Gemeinden an dem vom Zentralkomite zu beschaffenden Anleihen sich mit den zugedachten Quoten betheiligen.»
Hoffen wir, dass Private und Behörden mit aller Energie das aus irgendwelchen Gründen Versäumte so bald als möglich gut zu machen trachten.»
Freienbach erhielt erst 52 Jahre später eine Haltestelle an der SBB-Linie, nachdem es seit 1902 eine Station der Linie Pfäffikon–Samstagern hatte!)

Beim Bahnbau wurde 1873 der Hafen bei der Wädenswiler Sust aufgefüllt. Im Hintergrund rechts das Haus «Gambrinus» an der Seestrasse.

Die Passerelle beim Restaurant «Schiffli» in Wädenswil, abgebrochen 1931.

Bundesrat Forrer (links aussen) anlässlich der Besprechung wegen der Elektrifikation der SBB am 16. Mai 1916 in Richterswil. (Ortsmuseum Richterswil)
Das seltene Bild wurde am 16.05.1916 von Fr. Wuhrmann, Wirtstochter im Rest. «Bahnhöfli» aufgenommen. Es zeigt links aussen den damaligen Bundesrat Ludwig Johann Forrer (1845–1921), (Bundesrat von 1902–1917), anlässlich einer Besammlung wegen der Elektrifikation der SBB. Vermutlich befinden sich unter den weiteren Herrn auch Oberst Hch. Landis aus der «Steinburg» sowie Herr Paul Frey-Landis. (geschenkt von Frau Wettstein-Wuhrmann).
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