NEUGESTALTUNG DER BAHNHOFSANLAGE THALWIL

Quelle: Ziegler, Peter: Hundert Jahre Eisenbahnlinie Zürich–Richterswil, in: Linkes Ufer, Nr. 205 vom 05.09.1975 - bebildert cle

Als Beispiel aus der jüngeren Geschichte der Bahnlinie Zürich–Richterswil seien die im Sommer 1965 abgeschlossenen Arbeiten zur Neugestaltung des wichtigen Vororts- und Abzweigebahnhofes Thalwil erwähnt.
Die unmittelbare Veranlassung, den Bahnhof Thalwil umzubauen, gab der Bau des zweiten Geleises auf der Strecke Thalwil–Horgen-Oberdorf. Wäre die neue Doppelspur von Horgen-Oberdorf niveaugleich in den Bahnhof Thalwil eingeführt worden, so hätte das Geleise aus der Richtung Wädenswil dasjenige nach Zug überschritten. Eine Zugseinfahrt aus der Seelinie Richtung Zürich hätte also eine gleichzeitige Zugsausfahrt von Thalwil nach Horgen-Oberdorf verunmöglicht. Um eine solche Behinderung des Zugsverkehrs zu vermeiden, wurde eine Überwerfung gebaut. Diese besteht aus einer Brückenkonstruktion, auf welcher die Doppelspur nach Horgen-Oberdorf über das seeseitige Geleise von Oberrieden geführt ist. Um das Umsteigen bei knappen Anschlüssen von Zügen aus der Richtung Zug auf solche in die Richtung Ziegelbrücke zu erleichtern und zu beschleunigen, wurde eine Weichenverbindung eingebaut, welche es möglich macht, die Züge auf die Geleise des gleichen Perrons einfahren zu lassen.

Bau der Brückenkonstruktion in Thalwil, 1962. (SBB Historic)

Im Zuge der Neugestaltung der Bahnhofsanlage Thalwil ersetzte man das frühere Reiterstellwerk durch ein modernes elektrisches Geleisebild-Stellwerk. Der Beamte des Fahrdienstes sieht nun auf dem ausgeleuchteten Geleiseplan des Kommandopultes, welche Geleise frei und welche besetzt sind. Durch Tastendruck werden die Weichen über Relaissteuerung und Motorenantrieb in die gewünschte Fahrstrassenstellung gebracht, und die zugehörigen Signale werden auf «Fahrt» gestellt. Bei belegten Gleiseabschnitten kann die Weichenstellung nicht verändert werden. Durch das neue Stellwerk wurde der Betriebsablauf wesentlich beschleunigt, und es konnten sechs Stellwerkwärter eingespart werden.
Das neue Stellwerk hätte mindestens einen Umbau des Aufnahmegebäudes bedingt. Die SBB entschlossen sich daher zur teureren, aber zweckmässigeren Lösung eines Bahnhofneubaus. Das neue Bahnhofsgebäude Thalwil ist ein reiner Zweckbau. Im modernen, die horizontale Linie betonenden Baukörper aus Beton vereinigen sich Räume für die technischen Anlagen, Betriebs- und Publikumsräume, sowie zwei Dienstwohnungen.

Alter Bahnhof Thalwil, 1961. (SBB Historic)

Mit dem Umbau der Geleiseanlagen wurden die beiden Zwischenperrons auf 370 m verlängert, und als neue Zugänge zu den Perrons schuf man zwei breitere Passerellen. Die im Bahnhof Thalwil verwirklichte Infr-Weichenheizanlage war im Jahre 1965 eine der ersten grösseren Weichenheizanlagen auf dem Netz der SBB überhaupt.
Die Verbesserungen im Bahnhof Thalwil hatten mehr als nur lokale Bedeutung. Sie waren ein Teilstück einer umfassenden Kapazitätssteigerung der Bahnanlagen in und um Zürich, welche gegen Ende einer hundertjährigen Entwicklung durch die Bevölkerungszunahme und die wirtschaftliche Entfaltung zur Dringlichkeit geworden war.

Altes kopfsteingepflastertes Zwischenperron und Passerelle Nord von 1922, 1955. Sicht auf neue Passerelle Süd, neues Aufnahmegebäude (Arch. Max Vogt), dahinter alter Güterschuppen, 1965. (SBB Historic)