Aus den Annalen der Linksufrigen
Quelle: Werner Neuhaus, Separatdruck «Zürichsee-Zeitung» Th. Gut+Co. Verlag, 8712 Stäfa
VOM «ARBEITERPULLMANN» ZUM S-BAHN-BETRIEB
«Einfach für retour» und weitere Sondermassnahmen
Zu einem ersten Versuch, den Vorortsverkehr von Zürich zu modernisieren, gehörte der Einsatz von Pendelzügen in den späteren zwanziger Jahren. Dan den ab 1923 erbauten Steuerwagen (das sind Personen- oder Gepäckwagen, die einen zusätzlichen Führerstand für den Lokomotivführer aufweisen) war es möglich, spezielle Züge zu bilden, bei denen an der jeweiligen Endstation die Lokomotive oder der Triebwagen nicht mehr umgestellt werden musste. Die 1928 mit einem blauweisen Anstrich versehenen Züge erhielten bald den Übernamen «Arbeiterpullmann»; sie verkehrten damals auch zwischen Zürich und Richterswil und sorgten in der Anfangszeit für etliches Aufsehen. (Der Schreiber erinnert sich auch, dass zu den Höhepunkten seiner regelmässigen Besuche des Bahnhofs Oberrieden während den schulfreien Nachmittagen stets die Durchfahrt eines «Hindersizugs» gehörte – so unsere Bezeichnung der Pendelzüge. Im Notfall konnten diese Züge am Schluss noch zusätzliche Anhängewaren mitführen, was unser jugendliches Gemüt ganz besonders erfreute!)

Pendelzug, oder sogenannter «Hindersizugs» in Thalwil. 1951. (SBB Historic)
Aber auch Postwagen zirkulierten am linken Seeufer, doch ist aus dem Jahr 1927 eine unglückliche Geschichte zu berichten: Just drei Tage vor dem Weihnachtsfest brannte nämlich in Horgen der dreiachsige Bahnpostwage Z 30 525 aus, da offenbar die elektrische Heizung defekt war. Die Folge: 700 zerstörte Poststücke, ein Schaden von 70 000 Franken (der Postwagen musste in der Folge abgebrochen werden) und vermutlich eine ganze Reihe enttäuschter Kinder, die ihr Weihnachtsgeschenk nicht erhalten hatten.

Der kurz vor Weihnachten 1927 in Horgen ausgebrannte Bahnpostwagen.
Sonderangebot für Ausstellungen und Sportler
Das heute weitgehend in Vergessenheit geratene Angebot «Einfach für retour» galt 1930 auf der Linksufrigen beim Besuch der «Zürichsee-Ausstellung» in Wädenswil und ein Jahr später beim Wintersportverkehr. Diese Massnahmen waren «durch die stets stärker werdende Konkurrenz bedingt» - die Automobile begannen langsam, die bisherige Vormachtstellung der Bahn anzugreifen.
Für die 1939 in Zürich stattfindende Landesausstellung wurde in Wollishofen seeseits der Geleisanlage ein separater «Landiperron» eingerichtet, wo die Extrazüge aus nah und fern abgefertigt werden konnten. Zwischen Zürich HB und Zürich Wollishofen verkehrten zudem spezielle Motorwagenzüge, die in den Zürcher Farben gemalt waren.
Landi-Bahnhof, Zürich Wollishofen und Eingangsbereich zur Landesausstellung, 1939.
Stationsausbauten in Horgen und Thalwil
Schon um die Jahrhundertwende hatte es sich gezeigt, dass die Bahnanlage in Horgen dem zunehmenden Verkehr nicht gewachsen war. Insbesondere die seeseitige Lage des Güterschuppens erwies sich als äusserst nachteilig. Die Verhandlungen mit der Bahnunternehmung und der Gemeinde zogen sich aber derart in die Länge, dass erst nach einem halben Jahrhundert eine allseits befriedigende Lösung gefunden werden konnte. Die Gemeinde bewilligte am 20. Mai 1951 einen Beitrag von 320 000 Franken an die Neuerstellung eines Aufnahmegebäudes und den Bau einer Unterführung.

Neuer Bahnhof Horgen, 1953.
Etwas speditiver ging die Projektierung der Bahnhoferweiterung in Thalwil vor sich. Die die Doppelspur zwischen Horgen Oberdorf und Thalwil auf den Herbst 1961 in Betrieb genommen werden konnte, ergab sich am Südausgang des Bahnhofs bei der Überkreuzung der Fahrstrassen ein störender Engpass. Der Verwaltungsrat der SBB genehmigt daher in seiner Sitzung vom 17. Oktober 1960 einen Kredit von 9 Millionen Franken für den Ausbau der Stationsanlagen. Kernpunkt des Projekts war der Bau einer Überwerfung am Südkopf der Geleisanlage. (Der Fachausdruck «Überwerfung» passte, soviel ich mich erinnern mag, unserem Lateinlehrer ganz und gar nicht: Man könne sich zwar mit einem Menschen überwerfen, aber was das mit einer Geleisanlage zu tun habe, sei ihm schleierhaft.) Wie diese Überwerfung in der Praxis aussieht, wissen die Zugreisenden der Linksufrigen aus der Praxis: Die beiden Geleise der Linie Thalwil–Zug führen in einem eleganten Bogen über das Streckengleis Oberrieden–Thalwil der Seelinie, womit der Zugverkehr problemlos abgewickelt werden kann. Gleichzeitig mit dem Umbau der Geleisanlagen erhielt Thalwil auch ein neues Aufnahmegebäude samt Güterschuppen sowie eine neue Sicherungsanlage. Zudem wurde die 1922 erbaute Passerelle durch ein neues Bauwerk ersetzt.
Die undatierten Billette Thalwil–Mailand
Bei dieser Gelegenheit sei ein amüsantes Müsterchen weitergereicht, das mir von einem seinerzeitigen Beamten aus Thalwil erzählt worden ist. Wie in allen Wirtschaften der Gemeinde galt auch im Bahnhöfli die übliche Polizeistunde. Wer aber nachweisen konnte, dass er noch den ersten nach Mitternacht verkehrenden Nachtzug nach Italien besteigen wollte, durfte unbehelligt noch etwas länger in der Wirtschaftsstube ausharren. So soll es zuweilen vorgekommen sein, dass kurz vor Mitternacht einige Billette Thalwil–Mailand verlangt worden seine – aber die SBB-Beamten hätten sie «einfachheitshalber» nicht etwa mit dem Datumstempel versehen, da sie eine halbe Stunde später ohnehin wieder am Schalter abgegeben worden seien …