Auf Richterswils alten Wirtschaftspfaden

Quelle: Auf Richterswils alten Wirtschaftspfaden, Richterswil 1998, von Kurt Wild, S. 17-20, zusätzliche Bilder LZB

Inhaltsverzeichnis

Umwälzung des Verkehrsablaufs durch die Eisenbahn
Verlust der verkehrsgeographischen Vorteile
Anhang

UMWÄLZUNG DES VERKEHRSABLAUFS DURCH DIE EISENBAHN

Einschneidende Änderungen im Verkehrsablauf brachte die Eröffnung des Eisenbahnbetriebs am linken Seeufer im Jahr 1975 mit sich. Die «Bilgerischiffe» machten Pilgerzügen Platz. Vorerst konnte Richterswil zwar seine Position als Umsteigestation bewahren, und auch seine Stellung als Umschlagplatz für den Güterverkehr blieb einstweilen noch intakt, solange Einsiedeln nur mit Fuhrwerken erreicht werden konnte. Aber schon bald änderten sich die Verhältnisse grundlegend zum Nachteil Richterswils.
Seit längerer Zeit waren in Wädenswil Bestrebungen für den Bau einer Eisenbahnlinie nach Einsiedeln in Gang gekommen. Schon 1870 lagen die erforderlichen Konzessionen für einen solchen Eisenbahnbetrieb vor, und die Konkretisierung des Vorhabens wurde so vorangetrieben, dass am 1. Mail 1877 die WädenswilEinsiedeln-Bahn ihren Betrieb mit vorläufig täglich je vier Zügen in beiden Richtungen aufnehmen konnte.

Der Betrieb der WädenswilEinsiedeln-Bahn wurde am 1. Mai 1877 mit je vier Zügen in beiden Richtungen aufgenommen. Zum gleichen Zeitpunkt verkehrten auf der Strecke RichterswilZürich und umgekehrt je sieben Züge der Schweizerischen Nordost-Bahn.


Hatte Richterswil am 20. September 1875 mit der Betriebsaufnahme der Strecke Zürich-Näfels einen ersten Bahnanschluss der Schweizerischen Nordostbahn erhalten, so kamen am 1. Mai 1877 zwei weitere der WädenswilEinsiedeln-Bahn hinzu. Seither verfügen die Richterswiler, mit anderen Worten, über drei Bahnstationen: Richterswil-Dorf, Burghalden und Samstagern.


Die alte SOB-Station Burghalden.



Stationsgebäude Samstagern von 1878, Aufnahme nach 1939 (elektrifiziert). (Digitalarchiv Peter Ziegler, DOZ).

An diesem Tag wurden die Postkurse Richterswil-Einsiedeln eingestellt, und am 5. Mai schrieb Drei-Königen-Wirt August Gattiker infolge dieser Betriebseinstellung in der «Grenzpost» zwölf «zu jedem Dienst taugliche Pferde» zum Verkauf aus. Das Postkutschen-Zeitalter war in Richterswil an seinem Ende angelangt, nachdem auch die 1878 versuchsweise betriebene Pferdepost über Wollerau nach Schindellegi wegen ungenügender Frequenz und Unrentabilität hatte eingestellt werden müssen.

Verlust der verkehrsgeographischen Vorteile

Die Absicht der Wädenswil Eisenbahn-Initianten war es, Wädenswil anstelle von Richterswil zur Umsteigestation und zum Umladeplatz für den in Richtung Einsiedeln laufenden Pilger- und Güterverkehr zu machen, weil man sich davon reichen wirtschaftlichen Nutzen versprach. Die Richterswiler hatten das Vorhaben vergeblich zu verhindern versucht. In einer eigens zu diesem Zwecke abgefassten Broschüre, die in tausend Exemplaren verbreitet wurde und deren Kosten die Gemeinde trug, sagten sie dem Unternehmen Unrentabilität und Kapitalverluste voraus. Sie hatten es aber selber verpasst, ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, um rechtzeitig ein eigenes Bahnprojekt für die Verbindung mit Einsiedeln so voranzubringen, dass Richterswil seine jahrhundertelang gehaltene Position als Umlade- und Umsteigestation hätte halten können.
So ging diese Stellung nun aber verloren. Richterswil wurde dadurch verkehrspolitisch zwar in eine Ecke abgedrängt, aber zu Krisenerscheinungen in seinem Wirtschaftsleben kam es deswegen nicht. Wohl ergaben sich daraus zwangsläufig Umstellungen im lokalen Wirtschaftsgefüge. Diese konnten aber ziemlich schadlos überstanden werden, weil von den industriellen Aktivitäten zu jener Zeit noch eine Pufferwirkung ausging, welche die durch die Schrumpfung des Schiffahrts- und Speditionsgewerbes sowie durch die Ausfälle im Gastgewerbe entstandenen Einbussen aufzufangen vermochte. Bezeichnend dafür ist, dass die hiesige Einwohnerzahl in jener Periode 1870 und 1880 um volle 8 Prozent (gegenüber z.B. nur 4 Prozent in Wädenswil). Die Industrie war zum dominierenden Wirtschaftsfaktor geworden.

Abkürzungen

BKW Baukultur Wädenswil
DOZ Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil
LZB Verein «150 Jahre linksufrige Zürichseebahn», Wädenswil

Bildnachweis

Header Bild: Vignette Dampfschiff vom 23. November 1846: Aschmann & Guyer versendet Waren an Crispin Dusser, Schwyz. (Ortsmuseum Richterswil)

Bildnachweis

Header Bild: Richterswil mit alter Kirche, 1903. Die eingleisige Bahnlinie grenzt bei der Garnhänke noch direkt an den See. (Ortsmuseum Richterswil)

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